Am 15. 9. erschien mit NATHAN KANTEREIT Co Wintersteins erste Novelle bei Edition Hibana. Die Autorin aus Hamburg – begeisterte Museumsgängerin, Kunstliebhaberin und Literaturbloggerin – verwirklichte in der Geschichte um den freundlichen Sonderling Nathan Kantereit eine Novelle um einen Menschen, der keine übliche Liebesaffäre eingeht.

florian l. arnold – du nennst dich eine begeisterte kunstmuseumsgängerin. in deiner novelle „nathan kantereit“ wie auch in deinem erzählband geht es häufig um kunst und menschen, die mit der kunst verbunden sind. wo und wie wurde dein „nathan kantereit“ geboren?

 

winterstein – Wo Nathan Kantereit geboren wurde, kann ich ganz genau sagen, und zwar in der Alten Nationalgalerie in Berlin im zweiten Ausstellungsgeschoss im Saal der Deutschrömer. Ich saß dort eines schönen Herbsttages und betrachtete Arnold Böcklins „Selbstbildnis mit fiedelndem Tod“. Ich fand sein Gesicht sehr ansprechend, die feinen Pinselstriche, die Augen so lebendig, ich kann das gar nicht beschreiben. Auf jeden Fall habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, in diesen Rahmen hineinzusteigen, in Böcklins Zeit zu gelangen, und ihn kennenzulernen. Ich hatte vorher Borges „Aleph“ gelesen und war literarisch im magischen Realismus unterwegs, vielleicht hat das auch den Funken gezündet. Es ist ja gewissermaßen eine etwas absurde, skurrile oder freundlich ausgedrückt „phantastische“ Idee, sich ernsthaft in ein Gemälde zu verlieben.

 

florian l. arnold – nathan ist in gewisser weise eine perfekte literarische figur. er hat etwas angenehm unrealistisches. er ist ein träumer, ein kind in einem erwachsenen körper.
bist du solchen menschen in der wirklichkeit begegnet?
gibt es reale vorbilder?

 

winterstein – Nein, für Nathan gibt es keine realen Vorbilder. Nathans Charakter liegt in der Geschichte begründet und in meinem Wunsch, sie glaubhaft zu gestalten. Wir alle wissen, man kann sich nicht wirklich in ein Gemälde verlieben, es fehlt einfach zu viel, die Ebene der Körperlichkeit und sämtliche Kommunikation und Interaktion, deshalb musste Nathan vom Charakter her ein Mensch sein, der nicht viel wert und Aufmerksamkeit auf diese Dinge legt. Ein introvertierter Mann mit wenigen sozialen Kontakten und einer heftig blühenden Fantasie, unbedarft wie ein Kind und „rein“. Ein Mensch ohne Sündenzusammenhang könnte man sagen, wenn das nicht zu religiös ist. Die Novelle ist letztendlich ein Versuch, so einen Menschen zu erschaffen oder besser zu erfinden, dem man die Liebe zu einem Gemälde wirklich glaubt. Ob der Versuch geklappt hat, müssen die Leser*innen entscheiden.

 

florian l. arnold – „nathan kantereit“ ist eine novelle. eine kleine schlanke form, in der vieles skizzenhaft bleiben darf. liebst du die kleine form? warum nicht ein großer roman?

 

winterstein – Ich finde, jede Textform hat ihren Reiz. Vor dieser Novelle habe ich ja einen Erzählband veröffentlicht, indem die Kantereit-Geschichte ihren Anfang fand. Im nächsten Sommer dann erscheint ein Gedichtband von mir.

Bei kürzeren Textformen empfinde ich es als Herausforderung (und Freude), dass jedes Wort präzise und perfekt im Satz platziert sein muss. An der langen Form eines Romans interessiert mich das Erschaffen von tiefen und lebendigen Charakteren. Ich habe es bis jetzt allerdings noch nicht gewagt, meine beiden Romane einem Verlag anzubieten. Aber vielleicht eines Tages …

 

florian l. arnold – gib uns einen einblick in die kunstbegeisterung von co winterstein: warum passen till gerhards gemälde so gut zu deiner novelle?

 

winterstein – Tills Bilder passen in meinen Augen perfekt zur Novelle, weil sie ein naturnahes, reales Setting haben, das durch „Auslassungen“ in Form von Klecksen, Blendreflexen, Farbsprenkeln der Wirklichkeit enthoben wird. Diese Brüche in der Bildkomposition – literarisch würde ich sie eher Risse in der Realität nennen – werden dann von den Betrachtenden durch Fiktion bzw. Fantasie gefüllt. Ebenso ist es bei meiner Geschichte, sie hat ein reales Setting im Museum eines Berliner Winters, aber diese seltsame, eigentlich unmögliche Liebe müssen sich die Lesenden selbst fiktionalisieren, erfühlen und entscheiden, ob sie der Hauptfigur glauben wollen, denn es gibt ja kein Vorbild, auf das sie sich gedanklich beziehen können.
Es gibt also zwischen den Metastrukturen der Erzählung und Tills Bilder gewisse Entsprechungen.
Ich hoffe, er sieht das auch so.