„Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen. Von außen ist eigentlich nur ein großes Loch sichtbar, dieses führt aber in Wirklichkeit nirgends hin, schon nach ein paar Schritten stößt man auf natürliches festes Gestein. Ich will mich nicht dessen rühmen, diese List mit Absicht ausgeführt zu haben, es war vielmehr der Rest eines der vielen vergeblichen Bauversuche, aber schließlich schien es mir vorteilhaft, dieses eine Loch unverschüttet zu lassen. Freilich manche List ist so fein, daß sie sich selbst umbringt“.
Franz Kafkas „Der Bau“ ist eine 1923 / 1924 entstandene, unvollendete Erzählung von Franz Kafka, die posthum erstmals 1928 in der Zeitschrift „Witiko“ veröffentlicht wurde. Sie schildert den vergeblichen Kampf eines Geschöpfes um die Perfektionierung seines riesigen Erdbaues zum Schutz vor Feinden. Die Erzählung handelt von der Verstrickung in die zwanghafte Beobachtung einer selbstgeschaffenen labyrinthartigen Anlage, die zunehmende Paranoia erzeugt.
Natürlich ist dieser Bau und sein Schöpfer ein typisch kafkaeskes Bild menschlichen Strebens nach Sicherheit – und die Unerreichbarkeit derselben. Florian L. Arnold hat diese verrätselte Geschichte Kafkas in ausdrucksstarken Bildern eingefangen und weitererzählt.
Ein typisch kafkaeskes Setting: Wer ist Freund, wer ist Feind? Wer die Feinde sind und ob das erzählende Lebewesen Mensch, Tier oder Zwischenwesen ist, das verschlüsselt Kafka so souverän und geistreich, wie man es nur erwarten kann. Zwanghafte (Selbst-)Beobachtung und die geistigen Labyrinthe einer Paranoia werden in einem kunstvollen Arrangement zu einem Lese-Erlebnis, das Liebhabern von „Das Schloss“ oder „Der Prozeß“ bestens vertraut sein sollte. Kafka bereitet hier psychologisch dicht das Trauma seiner Kindheit auf, nämlich das Haus seiner Kindheit in Prag. In seinem „Brief an den Vater“ berichtet er, wie er als kleines Kind in einer Nacht nicht in den Schlaf fand und dies kund tat. Woraufhin der Vater zu einer drastischen Erziehungsmethode schritt: „(…) da nahmst du mich aus dem Bett, trugst mich auf die Pawlatsche und ließest mich dort allein vor der geschlossenen Tür ein Weilchen im Hemd stehen“, heißt es im Brief. „Pawlatschen“ waren Innenhöfe mit umlaufenden Laubengängen, düstere Korridore in Form eines Außengangs – nachts gewiss eine angsteinflössende Erfahrung für ein Kind. „Noch nach Jahren“, erinnerte sich der Schriftsteller, „litt ich unter der quälenden Vorstellung, dass der riesige Mann, mein Vater, die letzte Instanz, fast ohne Grund kommen und mich in der Nacht aus dem Bett auf die Pawlatsche tragen konnte und dass ich also ein solches Nichts für ihn war.“
Dieses „Nichts“ baut sich nun eine Behausung, sucht nach Wehrhaftigkeit, horcht auf Feinde und zergrübelt sich über wahre und eingebildete Gefahren. Raum ist für Kafka nicht eine Konstante der Wirklichkeit, sondern der Imagination. Der Raum in „Der Bau“ verarbeitet existentielle Erfahrungen. „(…) Jede Fiktion baut Handlungsorte und -räume auf, wobei die Skala von gänzlich imaginären bis hin zu realistisch gezeichneten, präzise lokalisierbaren Schauplätzen reicht“, wie Barbara Piatti feststellt (> Piatti: Die Geographie der Literatur. Schauplätze, Handlungsräume, Raumphantasien.)
Text: Florian L. Arnold